Cerdeira – Ein Dorf für Kreative

In dieser Landschaft ist alles möglich. Bücher schreiben, in Keramik- und Yoga-Kursen die eigene Kreativität entdecken, Wandern und Mountain biken und Kanutrekking. Oder einfach nur Ruhe und Natur finden. Im Hinterland zwischen Lissabon und Porto liegt Cerdeira. Ein Dorf für Kreative in den Bergen der Serra da Lousã.

Kerstin Thomas ist eine fröhliche Frau in den besten Jahren. Als die deutsche Holzbildhauerin aus Bamberg vor dreißig Jahren zum Studium in die Universitätsstadt Coimbra kam, ahnte sie kaum etwas vom Glück des Landlebens. Heute ist sie das Herz des kleinen Dorfes Cerdeira in den Bergen der Serra da Lousã. Familie und Freunden halfen das einst von Bauern bewohnte Schieferdorf zu neuem Leben zu erwecken, lange bevor die EU das Projekt der „Aldeias do Xisto“ mit Fördergeldern unterstützte. Entstanden sind neun Ferienhäuser, ein Hostel, Ateliers und ein Seminarhaus.

Cerdeira mehr als ein hübsches Bergnest

Aber Cerdeira ist mehr als ein hübsches, abgelegenes Nest in den Bergen. Hier trifft Natur auf Kultur und inspiriert wie eh und je. 2006 organisierte Kerstin das erste internationale Kunst-Festival „Elementos à Solta“. 2012 startete das Cerdeira Projekt und bereits 2018 wurde Cerdeira „Home for Creativity“.

Kerstin Thomas begrüßt ihre Gäste am Dorfeingang von Cerdeira. Foto: Flora Jädicke

„Die erste Begegnung war überwältigend“, erinnert sie sich. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick und das „Dorf“ damals noch ein wild verwüsteter Haufen Schiefersteine. „Mehr war es wirklich nicht“, sagt sie. „Aber ich wusste: Das ist der Ort an dem ich leben will.“ Sie zog mit Mann und Kindern in die Berge von Lousã und baute gemeinsam mit Thomas Langer das Dorf wieder auf, dessen Grundmauern bis in die Zeit vor 300 Jahren zurückgehen.

Aus Ruinen auferstanden

Mehr als zehn Jahre lebte sie ohne Strom und Wasser oder gar Nachbarn. Ganz zu schweigen vom Internet. Aber das hatte Ende der 80er-Jahre ohnehin kaum jemand. Heute gibt es in Cerdeira alles. Und obendrein noch das, was anderen Orten längst fehlt. Ruhe und Natur und die Einfachheit des Lebens. „Luxo da Simplicidade“, den Luxus des Einfachen, nennen die Menschen im „Center of Portugal“ diesen Lebensstil. Die Gemeinde der Anhänger wird immer stattlicher. Nicht nur in Portugal. Gestresste Großstädter, Aus- und Umsteiger suchen Orte wie Cerdeira. Orte, an denen man sich neu erfinden kann und die der eigenen Kreativität ganz ungezwungen Raum geben.

Weniger als eine Stunde Fahrt führt die Straße von Coimbra über enge Windungen hinauf zu dem Schieferweiler mitten in der waldreichen Serra da Lousã.

Cerdeiras Swimmingpool mit Quellwasser

Am Dorfeingang sorgt Quellwasser in Trinkwasserqualität für Erfrischung. „Hier kann man sogar aus den Bächen Wasser schöpfen, wenn man will“, sagt Kerstin. Es gibt keine Verunreinigungen, weil es keine Landwirtschaft gibt. Der munter sprudelnde Quell speist auch den kleinen Bachlauf, der sich unter einer urwüchsigen Brücke hindurch schlängelt. Im Dickicht des Bergwaldes setzt er seinen Lauf als Ribeira da Cerdeira fort. Die Quelle speist auch einen winizigen Swimmingpool. Der ist allerdings etwas für wirklich heiße Sommertage. „16 Grad hat das Wasser im August.“ Über soviel Frische muss sie selber lachen.

Cerdeira bietet alles für entspannte und kreative Auszeiten. Einen Laden und eine kleine Gallery, eine mehrsprachige Bibliothek, das große Seminarhaus und Künstlerwerkstätten. Ein Schieferhaus, restauriert nach historisch Vorbild dient als Museum und erinnert an die Zeit, als die Menschen dem Boden und der Natur ihr Leben abtrotzten. Alle anderen Häuser gleichen nur außen ihrem traditionellen Vorbild. Innen bieten sie die Annehmlichkeiten des modernen Lebens. Inzwischen haben acht Familien Häuser gerettet. Etwa die Hälfte davon gehört zum Projekt. Vieles ist unfertig, dafür aber denkmalgeschützt. Die Zeit ist ein freundlicher Geselle in Cerdeira.

Ein gern gesehener Gast und Gefährte der Hundedame Branquinha. Foto: Flora Jädicke

Das Seminarhaus ist mit traditionellen Techniken aus den Trümmern auferstanden. Die Materialien liegen zumeist vor der Haustüre. Esskastanienholz, Lehm und Schiefer. Die Böden sind zum Teil aus Pinienholz. Viele Arbeiter und Handwerker kommen selber am Wochenende mit ihren Familien ins Dorf – auch wenn von den ursprünglichen Einwohnern niemand mehr hier lebt. Das sei in den übrigen Schieferdörfern anders, erzählt Kerstin. „Aber wir sind mit vielen ehemaligen Einwohnern und deren Erben auf Facebook befreundet“, sagt sie. Einige leben in den USA und freuen sich über ihr altes neues Dorf. Früher waren die Steinhäuser ein Synonym für Armut. Heute ist alles umweltverträglich und baubiologisch hergerichtet.

Jedes Haus von einem Künstler gestaltet

Für jedes Haus wurde ein portugiesischer Künstler engagiert. Die Keramikerin Carmina Anastácio hat das Ambiente für Casa das Estórias entworfen. Anastácio lebt in Sintra und arbeitet dort am «Oficina de Rakú». Ihre Gestaltung erinnert an die Kunst der Native People Nordamerikas. Das Wandrelief im Erdgeschoss stammt von Martim Santa Rita. Es erzählt über das einfache Leben und seine großen Themen: Gefühl, Verstand, Selbstbetrachtung und Reflektion, heißt es auf der Webseite des Künstlerdorfes.

Ich wohne im Casa das Estórias. Im ersten Stock gibt es eine offene Küche, mit viel Platz für einen Esstisch, ein gemütliches Sofa und einen Ofen. Im Obergeschoss befinden sich das Bad und das Schlafzimmer und eine großzügige Terrasse. Zum Frühstück geht man in das kleine Café da Videira, wo es auch WIFI gibt. Ariadna, die auch Gäste auf Wandertouren begleitet sorgt hier für einen guten Start in den Tag. Oder man lässt sich einfach morgens einen Frühstückskorb vor die Haustüre stellen. Wer will nimmt abends das Dinner im Café ein oder mit Blick auf die untergehende Sonne auf der eigenen Terrasse. Was für eine Aussicht!

Hübsch hergerichtet und ein echter Blickfang: Das blaue Haus. Foto: Flora Jädicke

Kunst Workshop – Jeder ist kreativ

Tagsüber lassen wir der Kreativität freien Lauf. „Creative Experience“ ist so etwas wie ein Schnupperkurs, ideal für das Wochenende. Wer mehr sucht wird ebenfalls fündig. In Cerdeira kann man in der Kunstschule Kunstkurse in ganz unterschiedlichen Techniken besuchen. Von Keramik über Holzbildhauerei und Zeichnen, Malerei oder Textilkunsthandwerk. Cristina Vilarinho, Designer and Illustratorin lehrt wie man Azulejos entwirft, Portugals weltberühmte Kachelkunst. Zum Programm gehört auch ein Artist in Residence Programm. „Wir wollen unseren Gästen Kurse auf hohem Niveau bieten“, sagt Kerstin. Ob zwei Stunden im Schnupperkurs oder in der Masterclass für Künstler.

Buddhas des japanischen Keramik-Künstlers Sensei Masakazu Kusakabe Foto: Flora Jädicke

Kerstin gibt den Gästen eine gut zwei-stündigen Einblick in die Figurative Keramik. Das Kunsthandwerk hat eine lange Tradition im Center of Portugal. Es ist ein Art Volkskunst, die immer einen Bezug zur Alltagskeramik hat.

Kerstin hat sich auf diese Art Keramik spezialisiert. Sie ist ihre Hommage an das Land und seine Menschen, mit denen sie eng verbunden ist. Am Ende bin ich Schöpferin einer etwas klobigen Tänzerin, eines unfreiwilligen Napoleons und eines vorwitzigen Gesellen meiner Fantasie. Kerstin schmunzelt: „Wir lassen unser Kreativität hier freien Lauf“, sagt sie. „Gewertet wird hier nicht – niemals.“ Anschließend werden die Werke gebrannt.

Mein Werk der figurativen Keramik. Das mit dem Buch wird wohl einfacher. Foto: Flora Jädicke

Cerdeira brennt für Ingenieurskunst aus Japan

Der Brennofen ist ein Meisterstück für sich. 2015 konstruierte der japanische Keramik-Künstler Sensei Masakazu Kusakabe aus Fukuschima den Sasukenei in Cerdeira. Kusakabe ist eine bekannte Größe in der Keramik-Kunstszene. Seine rauchfreien Öfen stehen nur an wenigen Plätzen der Welt und sind bei Keramikern heiß begehrt. „Wir sind glücklich, einen zu haben“, schwärmt Kerstin. Er wird von einheimischen und internationalen Künstlern gebucht. Der Meister ist selbst häufiger Gast in Cerdeira. Für den Garten rund um das Seminarhaus hat er 108 Buddha-Skulpturen entworfen. Sie sollen der Lehre nach Glück bringen und den Ort stets mit positiven Energien versorgen.

Figur in den Gassen von Cerdiera. Foto: Flora Jädicke

Wer will kann länger bleiben. Vielleicht um zu schreiben. In Cerdeira ist vieles möglich. Wo wenn nicht hier ließe sich besser auf den Spuren großer Literaten wie von Fernado Pesoa wandeln. Portugals Schriftsteller-Ikone saß meist in einem Lissabonner Café am Tejo und blickte von dort aus auf Portugal. Vielleicht brachte dieser Blick ihn zu der Einsicht, „Portugal das ist Lissabon und Landschaft“. Die wilden Berghänge der Serra da Lousã vor Augen sind nicht minder inspirierend. Warum nicht ein Buch schreiben? Portugal, das ist Natur und Kultur.

Chanfana – alte Ziege und junges Gemüse

Das Leben zwischen den Bergen war einst bescheidener. 800 Ziegen lebten in dem Dorf. Sie sollten Zicklein produzieren, die auf dem Markt etwas Geld brachten. Fleisch kam in jener Zeit selten auf den Tisch. Die „Chanfana“ war ein Festbraten. Kerstin zeigt ihren Gästen in Workshops wie man diesen würzigen Fleischtopf mit alter Ziege und jungem Gemüse zubereitet. Den traditionellen Holzofen im kleinen Museumshaus hat sie bereits eingeheizt. Gemeinsam schnipseln wir dicke Zwiebeln, viel, sehr viel Knoblauch und Paprika. Fleisch, Knochen Salz, Pfeffer, Lorbeerblätter und das für Portugal typische Piri-Piri kommen hinzu und werden mit Olivenöl und viel Rotwein übergossen.

Anschließend kommt der gut gefüllt Steingut-Topf für einen halben Tag in den Ofen und verströmt bald im ganzen Dorf einen köstlichen Duft. Wir genießen das deftige Mal mit Esskastanien auf der Terrasse des Seminarraumes. Der Blick in die Landschaft nährt die Seele so gut wie die Chanfana den Leib, nach einer ausgiebigen Wanderung.

Kerstin Thomas schürt das Feuer für die Chanfana am Abend in Cerdeira. Foto: Flora Jädicke
Kerstin Thomas schürt das Feuer für die Chanfana am Abend in Cerdeira. Foto: Flora Jädicke
Holzofen im Museumshaus. In dem winzigen Raum spielte sich das Leben der Bauern ab. Wohne, kochen, schlafen. Foto: Flora Jädicke

Wenn es Abend wird in Cerdeira

Wenn der Abend hereinbricht über den Hügeln der Serra da Lousã und die Sonne das ganze Dorf scheinbar mit Gold überzieht, wird Cerdeira noch stiller, noch sanfter und betörend. Dann sitzen vereinzelt Wanderer oder Mountainbiker auf der Terrasse vor dem Café da Videira.Wenn der Abend hereinbricht über den Hügeln der Serra da Lousã und die Sonne das ganze Dorf scheinbar mit Gold überzieht, wird Cerdeira noch stiller, noch sanfter und betörend. Dann sitzen vereinzelt Wanderer oder Mountainbiker auf der Terrasse vor dem Café da Videira. 

Spontaner Gast und Mountainbiker vor der Terrasse des Cafés. Foto: Flora Jädicke

Und wenn der Tag dann ganz hinter den Bergen in die Nacht eintaucht, hört man nichts als das Rascheln der Blätter, das Murmeln des Ribeira da Cerdeira und ein fast kaum wahrnehmbares Pfeifen. Blitzschnell wie Schatten der Vergangenheit huschen die kleinen Fledermäuse um die Häuser von Cerdeira. Bis die Nacht sich still über das eigenwillige Schieferdorf senkt. Nur ein Hund aus dem Nachbarort ruft Nacht für Nacht sehnsüchtig nach seiner Gefährtin Branquinha. Manch einem klingt es, als habe sich der Geist des Fado selbst aus den engen Gassen Lissabons hinauf in die Berge der Serra da Lousã gestohlen und genieße im weltentrückten Cerdeira still und heimlich den „Luxo da Simplicidade“.

Die Reise habe ich auf Einladung von Pura Communications und Center of Portugal unternommen.

Informationen:

Cerdeira Village

www.centerofportugal.com

Anreise über TAP Portugal 

Cerdeira liegt in den Bergen der Serra da Lousã, gut 217 Kilometer Nord-östlich von Lissabon. Von Porto sind es etwa 164 Kilometer süd-östlich. Die Regionalhauptstadt Coimbra ist etwa 37 Kilometer entfernt. Lousã erreicht man mit dem Auto in gut 20 Minuten.

Das Dorf gehört zu den „Aldeias do Xisto“ (Schieferdörfer). Dem Netzwerk haben sich inzwischen 27 Dörfer in der Region angeschlossen. www.aldeiasdoxisto.pt

Service „Gedeckter Tisch“, wenn es vorbestellt wird. Bei der Anreise oder nach einem langen Wandertag.

Frühstück im Café oder ein Frühstückskorb morgens an der Türschwelle.

Hier gibt es einige interaktive Karten zu den Wanderrouten durch die Serra da Lousã. Die Links zu den Karten und mehr gibt es auf der Seite von Cerdeira.

Hiking Trail Mills Route

Hiking Trail Lousã Schist Village

Hiking Trail Levada

Hiking Trail Four Villages

www.visitportugal.com

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