Der Schweizer Fotograf Christian Heeb hat sich schon als kleiner Junge hineingeträumt in die weiten Landschaften Nordamerikas und zu deren Ureinwohnern, den „Indianern“. Seine stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen und die Porträts von Native Americans haben ihn bekannt gemacht. Mehr als dreißig Jahre später hat er sich in die Traumlandschaften eines ganz anderen Amerika hineingeträumt. Bizarr, dunkel und surreal. „American Dreamscapes“ oder eine Reise in fotografische Traumlandschaften zwischen Edward Hopper, Gregrory Crewdson und Quentin Tarantino.
Als ich am späten Abend ankomme, hängt ein milder Frühsommerabend über der Rancho Las Hierbas von Christian und Regula Heeb. Ein Kojote streift zwischen den Salbeibüschen umher. In den Wachholderbäumen krächzen Raben. „Das sind fast unsere einzigen Nachbarn hier“, sagt er. Hin und wieder streift auch mal ein Luchs vorbei und ganz selten erscheint ein Puma vor der Terrasse.
Das große Haus mitten auf gut 16 Hektar Land am Rande der Hochwüste Oregons ist offen, weiträumig und einladend wie der Empfang. Der Fotograf und seine Frau. Beide arbeiten. Regula im Büro. Buchhaltung, Reiseplanung, Verträge, Organisation und fürsorgliche Betreuung aller Kunden und Reiseteilnehmer. Und er, der Fotograf Christian Heeb mit der Kamera.
Ein Meister der Inszenierung
Er ist ein Meister der Inszenierung. Das spürt man auch im Haus. Ein gewaltiger Billardtisch in der Mitte des Wohnraums. Übersät mit Objektiven, Kameras, Stativen und Akkus. An den Wänden steht Kunst von Fritz Scholder, einem bekannten indigenen Künstler und ein überlebensgroßer Abzug von Heebs „Crow Boy Mervel Yellow Tail“. Entschlossen scheint der Crow Junge von seinem Pferd durch die bodentiefen Fenster hinaus zu blicken in die Weite der struppig bizarren Landschaft vor der Haustüre.
Hinter dieser traumhaften Idylle am Rande von Oregons Hochwüste liegen Christian Heebs „American Dreamscapes“. Amerikanische Traumlandschaften von einer ganz anderen Art. Am Rande von Bend, einer ebenso reichen wie Outdoor vernarrten Kleinstadt am Deschutes River. Am Rande der Städte La Pine, Redmond und Sisters, der Reservate von Warm Springs oder am Rande von Reno in Nevada, Utah, bis hoch zu den dünn besiedelten Dakotas, Montana oder Wyoming.
Traumlandschaften am Rande der Wirklichkeit
Seine „American Dreamscapes“ (amerikanische Traumlandschaften) liegen vor allem am Rande der Wirklichkeit. Sie sind penibel inszenierte Sittenbilder des nordamerikanischen Provinzalltags, mit seinen verborgenen Ängsten, Sehnsüchten und Begierden. Brutal und schrill zuweilen. Häufig geprägt von Gewalt und dem Gefühl verloren zu sein im großen weiten Traum von Freiheit und Unabhängigkeit. Gefangen in bizarren Beziehungen.
Heeb ästhetisiert das Brutale und Bizarre. Das macht es erträglicher, ansehnlicher, aber nicht weniger eindrücklich. Heebs grell-düstere „amerikanische Traumlandschaften“ sind jenseits der harten Reportage und auch jenseits pornografischer Anzüglichkeiten. Er lässt seinen Figuren die Würde. Richtet nicht, urteilt nicht. Unweigerlich kommen einem Bilder aus Filmen von Starregisseur Quentin Tarantino in den Sinn. Reservoire Dogs zum Beispiel, Pulp Ficton oder Jackie Brown. Surreale Traumlandschaften eines Amerika, das den amerikanischen Traum oft in einen absurden Albtraum verwandelt hat, wie er auch in den Arbeiten des amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson zu sehen ist.
Hopper, Crewdson, Tarantino
Christian Heeb kommt geradezu ins Schwärmen als er mir einen Bildband von Crewdson zeigt. „Das ist ein Aufwand, der hat einfach Hollywood Niveau“, sagt er. Aber Heebs Bilder stehen hollywoodscher Perfektion in nichts nach. Im Gegenteil sie sind markant und pointiert. Amerikas Grauen hockt im Detail. Das gilt auch für die „American Dreamscapes“. Es sind gespenstische Traumbilder in einem geradezu harmlos erscheinenden Alltag.
Das Leben kann ein Tier sein. Oft ist es auch ein bizarres Spiel. „Ich lasse alles offen“, sagt er. Crewdsons Einflüsse auf Heebs „American Dreamcapes sind kaum zu übersehen. Und doch haben sie ihre eigene Bildsprache entwickelt. Grell und auf den Punkt gebracht, sagt er. Ebenso findet man Zitate des Malers Edward Hopper in seinen Arbeiten. Niemand hatte je zuvor die Einsamkeit des modernen Amerika auf der Leinwand so real werden lassen. Auch in Heebs Dreamscapes scheint sie zum Greifen nah.
Daneben war Tarantinos Film „Pulp Fiction“ eine Inspirationquelle, die vor allem in der Reihe „Rita and the Gun“ ihren Ausdruck fand. Für sie hat Christian Heeb einen gleichnamigen Song geschrieben und den Musiker Andy Trinkler für eine Video-Cooperation gewonnen.
Die American Dreamscapes: Kontakt und Infos zum Buch unter www.christianheeb.com/
Anleihen beim Film Noir
Die „American Dreamscapes“ sind bunt, grell und surreal. Dabei hat er auch durchaus Anleihen beim Film Noire gemacht. Farblich weniger drall, aber nicht weniger bewegend und eindringlich sind seine Aufnahmen aus der Reihe „50 States of Grey“.
Ihre Anziehungskraft ist stiller, leiser, in den kaum wahrnehmbaren Nuancen von grau und grau und grauer. Amerika kann beängstigend sein. „Gerade im Augenblick ist es sehr schlimm“, sagt er über das Land, dass einst sein Traum war. Wenn er an den aktuellen Präsidenten der USA denkt, ist er froh, dass er ein zweites Haus in Mexiko besitzt. „Am Süd-Zipfel der Bahia California lässt sich gut leben“, sagt er. Auch die Winter seien dort milder.
Vor Tagen aber ist er erst einmal mit seinem Atelier umgezogen. Er hat das Studio und die Gallery Casade Center of Photography in Bend aufgelöst. Nach über 200 Bildbänden, Kalendern und unzähligen Reisen in mehr als 80 Länder kommt etwas Neues. In drei Jahren wird Christian Heeb 60. „Zeit etwas das Tempo zu drosseln“, meint er. Einige Fotoreisen noch in den kommenden drei Jahren. Dann aber sehr viel weniger. Er will seine Zeit neuen Fotoprojekten widmen. Fotoreisen zu dem großen weißen Bären zum Beispiel. Er kann sich vor Ideen oft kaum retten. Die Zeit sie umzusetzen hatte er bislang selten. Die Porträts von Amerikas Ureinwohnern haben Christian Heeb bekannt gemacht und den Native Americans wird er auch das nächste große Foto-Projekt widmen. Die „Native Dreamscapes“.
Oregon war der einzig richtige Ort für Christian und Regula Heeb. Hier fanden beide was sie suchten. Wilde Natur in der Hochwüste, Berge, ohne die kein Schweizer leben kann, Ruhe und Abgeschiedenheit vom anstrengenden Reisealltag und die Freiheit und Weite Amerikas.
Ein Leben in der schönen, aber doch kleinen und engen Schweiz hatte er sich nie vorstellen können. Und schon gar keines auf den Baustellen dieser Welt. Zu Beginn der 80er Jahre hatte er noch im Unternehmen des Vaters als Architekt gearbeitet. Dort lernte er auch seine Frau Regula kennen. Mitte der 80er Jahre unternahmen sie gemeinsame eine mehr als 18-monatige Reise durch die USA. Das Fotografieren hat er sich selber vermittelt. Mit der Zeit lief das Geschäft mit den Verlagen gut an und auch einige Ausstellungen in der Schweiz und London gehörten dazu.
Ihm war aber schnell klar ein Leben mit Haus, Frau und Kindern das würde einfach nicht funktionieren. Der Kleine-Jungen-Traum von Amerika, der ihn schon früh aus der Enge St. Gallens zu den Ureinwohnern geführt hatte war einfach stärker und die Eltern ließen ihn machen. Dafür ist er ihnen bis heute dankbar. Sein Traum von Amerika ist aber gewissermaßen ein Traum geblieben. Als er 1996 mit Regula nach Oregon auswanderte, sah die Welt anders aus. Für Fotografen wie ihn war sie noch halbwegs in Ordnung und Amerika noch immer die unangefochtene Ikone der Freiheit. „9/11 hat alles verändert“, sagt er. Bush das hätte schon gereicht. Davon hat man sich durchaus erholen können. Der 11. September aber war eine Zäsur, eine tiefe, bis heute offenen Wunde in der amerikanischen Gesellschaft. Ein Albtraum.
Christian Heeb ist nicht nur ein begehrter Reisefotograf. Mit Regula bietet er jedes Jahr mehrere Fotoreisen in der ganzen Welt an. Sie führen ambitionierte Fotografen zu den Hotspots, die er selber gerne fotografiert. Abseits der üblichen Postkarten-Ansichten und in einer Atmosphäre bei der jeder Fotobegeisterter auf seine Kosten kommt. Wer den Fotografen Heeb live erleben will, der sollte sich beeilen. Denn auch die Fotoreisen werden in den kommenden Jahren weniger werden. Bis dahin aber stehen noch einige großartige Touren auf dem Plan.
Hier geht es zu den Reisen:
Die Fotoreisen: www.heebphoto.com
und Cascade Center of Photography Bend: www.ccophoto.com
Copyrights alle Bilder, inklusive Titelbild und Video by Christian Heeb
Instagram: christian_heeb_photographer und american_dreamscapes, auch einige Native Dreamscapes gibt es dort.
Facebook: Christian Heeb und @heebphoto
Die American Dreamscapes gibt es auch als Kalender 2020 im Stürtz Verlag