„Wenn du das Paradies ertragen kannst, dann komm nach Mallorca“, soll die Schriftstellerin Gertrude Stein einmal gesagt haben. Gut!, dachte ich. Das war vor Bettenburgen und Partytourismus. Aber schon lange hatte ich davon gehört. Alles sei auf der Insel ganz wunderbar, wenn man nur am rechten Ort ist.
Und so mache ich mich auf zur größten Balearen-Insel. Genauer gesagt in die Serra de Tramuntana. Die muss es sein. Nirgendwo ist Mallorca wilder, romantischer und aufregender als an seiner Westküste. Auf sechs Touren will ich das mächtige Gebirgsmassiv durchstreifen, immer auf der Suche nach dem Paradies. Ich lande in Palma de Mallorca und mein Eindruck vom weitläufigsten Flughafen Europas hat wenig zu tun mit der angekündigten Verheißung.
Der Sinneswandel kommt auf der Fahrt nach Port de Sóller in das Hotel Es Port. Kurz hinter dem Tunnel, der Palma direkt mit der Costa Nord verbindet, weitet sich der Blick in eine traumschöne und fruchtbare Ebene. Eingebettet in die Serra de Tramuntana und gut abgeschirmt von den kalten Nordwinden, die dem schroffen
Felsmassiv ihren Namen gaben, wachsen hier Mandel- Feigen und knorrige Olivebäume, Zitronen und Orangen.
Das „Val d’ Taronges“, das Tal der Orangen ist ein wahrer Garten Eden. Der Apfel im Paradies muss eine Orange gewesen sein, denke ich. So drall vom Saft und verführerisch prangen die leuchtend orangen Früchte zwischen den Ästen. Inmitten dieses Talkessels zwischen den Flanken der Serra de Tramuntana, die hier mit ihren höchsten Erhebungen prahlt wird eine erste Ahnung vom Paradies wach.
Im Hotel Es Port bringt Wanderführer Hendrik Uhlemann von der Alpinschule Innsbruck, die Gruppe mit Charme schnell zusammen. Vor gut einem Jahrzehnt kam er zum Spanischlernen auf die Insel, verliebte sich und blieb. Wer es ganz genau wissen will, den beglückt er auch mit Höhenmeterangaben und Bergsteiger-Latein.
Mallorca ist ein Paradies für Genießer
Am liebsten aber erzählt Hendrik von den Mallorquinern, von ihren Festen und Bräuchen, der ausgezeichneten Küche, von großen Kennern der Balearen wie dem Habsburger Erzherzog Ludwig Salvator und von den Früchten und Sträuchern der Insel. Von Mastix, Judasbaum und Zistrose von Nonnenkissen und den Blüten der Affodill.
Am nächsten Morgen schnüren wir früh die Stiefel. Vom Hotel führt der Weg direkt an der Bucht von Port de Sóller entlang. Wir queren das Refugio de Muleta und folgen dem Höhenweg Richtung Deià. Der Wind faucht streng und das Wolkenballett über uns wechselt im Zeitraffer die Choreographie. Surfer nutzen die tosende See für einen ersten Ritt auf den Wellen und wir hoffen auf Gnade beim Wettergott.
Wenigsten einen Teil des Klassikers der mallorquinischen Wanderwege den „Ruta de Pedra en Sec“, die Route der Trockenmauern wollen wir trocken begehen. Anders als die übrigen Wanderwege ist der GR221 hervorragend beschildert. Die alten Karren- und Versorgungswege führten über Jahrhunderte zu den entlegenen Köhlerstätten, prächtigen Gutshöfen, Schneehäusern und einfachen Siedlungen in den Bergen. Bis heute sind 90 Prozent der Serra de Tramuntana in Privatbesitz der Finca-Herren. „Ein freundliches Bondia schadet nie“, ermahnt uns Hendrik.
Wir folgen ihm über holprige Steinpflaster durch wilde Olivenhaine, über Teppiche süßer Johannisbrotschoten, vorbei an gelb blühender Wolfsmilch und wilden Ziegen, die hier eine Plage sind. In der Ferne reckt der Puig Major, Mallorcas höchster Berg, sein Haupt in die Wolken und unter uns fallen die steilen Felswände der Serra de Tramuntana 300 Meter tief ins Meer. Der nachlassende Wind weht uns den Duft von wildem Rosmarin in die Nase und das tintenblaue Mittelmeer zwinkert uns aus unzähligen kleinen Buchten zu.
Mallorca ist ein Paradies für Künstler
Deià schmiegt sich hoch oben auf einem Plateau in den Hang. Umgeben von grau-weißen Kalkfelsen zwischen Olivenbaumterrassen und Orangenbäumen leuchten seine ockerfarbenen Häuser in der Sonne. Als Verheißung galt es von je her den Künstlern. Der englische Schriftsteller Robert Graves lebte hier und machte den beschaulichen Ort in England bekannt.
Auch er muss eine Ahnung vom Paradies gehabt haben. Wie die Schriftstellerin George Sand und der Komponist Frédéric Chopin als sie im Winter 1883 nach Valdemossa aufbrachen. Für George Sand hatte es sich erfüllt. Für ihren kränkelnden Geliebten war jener Winter der Anfang vom Ende. Dennoch war es für den sensiblen Komponisten eine produktive Zeit. Seine schönsten Preluden schrieb er in der Kartause von Valdemossa.
Wir erreichen den Ort am nächsten Tag über den „Reitweg des Erzherzogs Ludwig Salvator“. Am Horizont liegen die Bucht von Palma und die Insel Cabrera. Im Norden thront der Massanella, der uns auf dieser Reise verwehrt bleibt. Schneefälle haben uns eine Straßensperrung beschert und den Mallorquinern zwei Sondersendungen im Fernsehen. Statt auf den Massanella wandern wir entspannt durch bizarre Steinwälder zum Kloster Santuari de Lluc. Der Galatzó im Südosten aber gibt uns einen Ausblick auf den letzten Wandertag. An ihm begehen wir unseren einzigen Eintausender Gipfel in dieser Woche und genießen eine wahrhaft alpine Felsenburg.
Kein Landstrich in der Serra de Tramuntana gleicht dem anderen. Nicht auf den 2000 Stufen von Biniaraix durch die Barranc zum Stausee von Cuber. Und auch nicht in der Cala Tuent wo wir vom Mirador de ses Barques einen berauschen Ausblick über Port de Sóller haben. Das ganz große Felsentheater bietet uns die Rückfahrt mit dem Bus von der Bucht Sa Calobra, über die MA-2141, eine der spektakulärsten Straßen der Welt. Die Straße überwindet auf 2,5 Kilometern, 682 Höhenmetern. Eine Alternative wäre der Seeweg. Aber die Wellen peitschen an diesem Tag mächtig in die Bucht. Das Schiff kann an der Anlagestelle nicht landen.
Kaum 600 Meter Fußweg von Parkplatz und Schiffsanlegestelle an der Cala de sa Calobra entfernt, beginnt der Ausgang der legendären Felsenschlucht des Torrent de Pareis. Jahrtausende hat der Sturzbach – auf Katalan Torrent genannt – sie auf seinem Weg zum Meer in den Fels gebrochen. Noch eine Verheißung auf das Paradies? „Ja, wenn es trocken ist, ist die Wanderung ein Traum“, verraten meine Wanderkollegen.
Wir lassen sie für dieses Mal Verheißung sein und winden uns mit dem Bus auf 33 Serpentinen, in 12 Haarnadelkurven durch diese unwirtlich schöne Felsschlucht.
Weite Strecken der Serra de Tramuntana haben trotz ihres rauen Charmes die Milde des Südens. Silbrig-grün schimmernde Olivenbäume, leuchtend gelbe Zitronen, pinkfarbene Blüten des Judasbaumes und das azurblaue Mittelmeer. Gertrude Stein würde vielleicht am Ende dieser Reise gesagt haben: „Mallorca ist ein Paradies, ist ein Paradies, ist ein Paradies, ist ein …!“ Wie Recht sie doch hätte.
Diese Reise wurde unterstützt von der Alpinschule Innsbruck, der TUIfly und dem Hotel Es Port
www.asi.at; www.tuifly.com; www.hotelesport.com
Der Beitrag ist auch erschienen in der Neuen Osnabrücker Zeitung