Eine Reise zu Ton Schulten – nach Ootmarsum

Seit 1997 hat Ootmarsums bekanntester Sohn sein eigenes Museum. Der moderne Bau wirkt so anders in dieser mittelalterlichen Stadt. So anders, wie das hügelige Twente im Rest von Holland. Eine Reise zu Ton Schulten nach Ootmarsum.

Der Zug bringt mich nach Bad Bentheim. Von hier werde ich abgeholt. Rainier Veldboer ist Hotelmanager im Parkhotel de Wiemsel und er ist so ungezwungen freundlich, wie man es selten erlebt. Im Parkhotel de Wiemsel werde ich die nächsten Tage verbringen. Umgeben von einer stillen Parkanlage am nord-östlichen Rand von Ootmarsum.

Parkanlage und Terasse rund um das Parkhotel de Wiemsel. Foto: Flora Jädicke

„Ein kleiner Vorgeschmack auf die Twenter Landschaft“, sagt Rainier. Er spricht gut Deutsch. Im Grenzland der Provinz Overijssel, zu der die Region Twente gehört und auf deutscher Seite, in der Grafschaft Bentheim, spricht man seit dem 19. Jahrhundert hüben wie drüben auch eine wenig die Sprache des Nachbarn. Und so kann ich Rainier löchern, mit all den Fragen über Ootmarsums berühmtesten Sohn, den Künstler Ton Schulten und diesen so ungewöhnlichen Teil von Holland.

„Das andere Holland“

Hier im Dinkelland im äußersten Nordwesten von Twente wellt sich das Land in sanften Erhebungen zwischen Deutschland im Osten und dem Ijsselmeer im Westen. Das also ist es. „Das andere Holland.“ Wo die Landschaft einfach nicht so will wie im Rest des gnadenlos flachen Landes zwischen Belgien, Deutschland, Nordsee- und Atlantikküste.

Die Landschaft rund um Ootmarsum ist eine stille Oase. Foto: Flora Jädicke

Gut dreißig Minuten fahren wir landeinwärts. Hier liegt das Land ruhig zwischen weiten Feldern und Weidelandschaft, unter Alleen und gewaltigen Buchen, Weißdornen, Birken und Eichen. Einhegt von den charakteristischen Twenter Wallhecken. In der Weite des Dinkellands erheben sich hier und da imposante Bauernhöfe und schmucke Landgüter. Herrenhäuser, die wie hineingewachsen stehen und wie Leuchttürme in dem seichten Wellenmeer aus Feldern, Heide und weitläufigen Mooren wirken. Dazwischen leuchten grün, locker gruppiert kleine Waldhaine auf. Gespickt mit Quellen und durchzogen von Bächen. Früher lebten hier Mammut, Wollnashorn und Riesenhirsch. Heute ist die Region ein Mekka für Freizeitsportler, Künstler, Kunst- und Naturliebhaber.

Beschaulicher Sonnenuntergang am Parkhotel de Wiemsel am Rande von Ootmarsum. Foto: Flora Jädicke

Die Sonne steht schon fast hinter dem Horizont als wir das Hotel erreichen und leuchtet freundlich jeden Winkel dieser Landschaft aus. So freundlich wie die Menschen sind, denen ich hier begegne. Und doch kann ich mir die fast freche Frage kaum verkneifen: „Wo denn hier bitte die Berge sind“, will ich von Rainier wissen. Schließlich hatte man sie mir angekündigt. Er schmunzelt milde. „Nun gut“, sagt er, „Berge!“ Der Begriff sei dann wohl doch etwas zu hoch gegriffen. Aber er verspricht mir:  Ich werde sie schon spüren, die Hügel von Twente. Wenn ich in den kommenden Tagen mit dem Fahrrad auf Fietswegen das Dinkelland durchstreife. Rainier wird Recht behalten.

Ton Schulten – Ootmarsums berühmtester Sohn

Was mich aber nach Ootmarsum bringt, sind nicht „Hollands Berge“, sondern der Maler Ton Schulten. Jeden Tag am Nachmittag, so heißt es, sitze er auf der Terrasse seines Cafés. Trinke ein Glas Wein, rauche eine Zigarre und beobachte das Treiben in der kleinen, 700 Jahre alten Künstler-Stadt. Sie wirkt vollends aus der Zeit gefallen mit ihren raus geputzten Patrizier-Häusern und Fachwerkfassaden, den engen, gepflasterten Gassen und den gefühlt hundert Galerien. 18 sind es tatsächlich. Ton Schulten betreibt zwei von Ihnen. Und manch einer sagt: Ohne den Ootmarsumer Bäckersohn, wäre das einst bedeutende Handelsstädtchen ein verschlafenes Nest in den „Dutch Mountains“.

Putziges Ootmarsum. Hier lässt sich leben. Foto: Flora Jädicke

Es hätte seine knapp 4500 Einwohner, ein paar prächtige Kirchen, das alte Kloster der Maria Ad Fontes, das Haus des Droste und die jüdische Geschichte, ein schönes Freilichtmuseum und ein paar hübsche kleine Geschäfte. Die Touristen aber und vor allem die Künstler, so glauben einige, würden andere Orte aufsuchen. Was ein Jammer wäre, denn „Ootmarsum is awesome“ lese ich in einem Ladenschaufenster. Wie wahr! Allein Ende August kommen, seit 36 Jahren jedes Jahr, mehr als 200 international erfolgreiche Künstler zum großen Kunstmarkt in die Stadt. Ootmarsum, das ist Kunst und Kultur auf hohem Niveau.

Gemälde von Ton Schulten im Obergeschoss des Museums. Foto: Flora Jädicke

Bei meinem Rundgang durch die Künstlerstadt, die ihren Titel ganz und gar zu Recht trägt, sehe ich den Meister des brillanten Lichts auf der Terrasse der Brasserie Rien Schulten sitzen. Sein schlohweißes Haar umkräuselt den Kopf. Er plaudert, lacht und genießt. Im April 2018 wurde Ton Schulten 80 Jahre alt und ich beschließe, diesen Hauch von „bohemian style“ nicht zu stören. In wenigen Tagen treffe ich ihn zum Interview. Wir werden Zeit haben und reden.

Ank und Ton Schulten genießen die Zeit in Ootmarsum. Foto: Flora Jädicke

Jetzt aber schwinge ich mich auf mein Hollandrad und fahre aus der Stadt hinaus ins Dinkelland. Kurz hinter dem Stadtrand geht es ganz und gar unholländisch bergan. Da ist es wieder, das andere Holland, das wie auch der Rest des Landes, immer ein wenig anders erscheint, freier, entspannter und liebenswürdiger, als der Rest der Welt. Ich fahre auf bestens beschilderten Radwegen. Links am Wegrand taucht ein Wasserturm auf. Zu seinen Füßen liegt der alte jüdische Friedhof. Hier oben auf de Kuiperberg findet sich auch das erste Zeichen des im 19. Jahrhundert aufkommenden Tourismus. Seit 1922 steht hier eine Informationstafel. Das ist wohl der höchste Punkt. Hoffe ich und bin dankbar für den elektrischen Assistenten am Rad.

Unterhalb von de Kuiperberg liegt ruhig das Dinkelland.Foto: Flora Jädicke

Vor mir breitet sich malerisch das Dinkelland aus. Auf einem kleinen Wasserlauf brütet ein Schwanenpaar. Störche tanzen über der fast poetischen Kulisse. Jenseits der Hauptstraße schlängeln sich schmale Straßen durch Orte und Landschaft. Jetzt am Nachmittag sind sie kaum befahren. Hin und wieder ein Traktor, ein Motorroller oder Fahrradfahrer. In den Ortschaften sonnen sich Ziegen und Schafe in den Gärten.

Eine Landschaft wie ein graphisches Gemälde

Auf einer Erhebung an de Kuiperberg zwischen Grot Agelo und Nute thront ein schwarzes Holzhaus mit mächtiger Fensterfront. Es ist das Refugium von Ton Schulten. Im kleinen Schuppen schafft er nachts zwischen Farben und Leinwänden seine Bilder. Wenn das erste Vogelgezwitscher ihn zum Frühstück mit Frau Ank und den Hunden ruft, beginnt für ihn die Zeit der Muße. Das Atelier steht idyllisch am Waldrand, umspült von einem Bachlauf unter mächtigen Bäumen.

Ausstellung im Museum Ton Schulten in Ootmarsum. Foto: Flora Jädicke

Diese kleinteilige Twenter Parklandschaft hat dem Künstler ihren Stempel aufgedrückt. Und er hat ihr dafür ein Denkmal gesetzt. In kraftvollen Farben, die leuchten als seien sie im Himmel entstanden. „Diese Landschaft ist wie ein grafisches Gemälde“, sagt Ton Schulten selbst. „Das hat mich inspiriert.“ In großen und kleinen Formaten findet man seine bunten Mosaiklandschaften mittlerweile auf Taschen, Büchern, Postkarten und Buchkalendern verewigt. Die Galerie „Chez moi“ ist ein Treffpunkt der Gegenwartskunst geworden wie das Museum Ton Schulten am Ton Schulten Plein.

Das Museum Ton Schulten in Ootmarsum

Es ist ein modernes Gebäude, das die umliegende Architektur zitiert. Rechts vom Foyer liegt der Museumsshop. Links ein schönes Restaurant und mitten hindurch führt der Weg in die farbgewaltige Ausstellung zu der sich Skulpturen befreundeter Künstler aus der ganzen Welt gesellen wie treue Weggefährten. Die Atmosphäre ist so friedvoll wie Schultens Werk, meditativ und zugleich lebhaft inspirierend. Nur eine Handvoll Besucher schlurft andächtig durch diese Explosion von Farben und dieses „Fest des Lebens“, wie es eine Besucherin beschreibt. Draußen gleißt die Sonne auf die Stadt.

Das Museum Ton Schulten im Stadtkern von Ootmarsum. Foto: Flora Jädicke

Ton Schulten ist einer der wenigen Künstler, die zu Lebzeiten ein eigenes Museum betreiben. Ich treffe ihn und seine Frau Ank in einem nüchternen Raum im Obergeschoss. Er will schnell dort weg. Runter auf die Terrasse. Die „Luft spüren“. Ein Glas Wein genießen und plaudern. Darüber, warum er malt. Wie er die Welt sieht und was sie im Innern zusammenhält. Und dass Elton John drei Gemälde von ihm hat natürlich auch.

Blumengemälde von Ton Schulten im Museum. Foto: Flora Jädicke

Ton Schulten ist ein kreativer Unruhepol im besten Sinne. Seine Bilder aber sind voller Harmonie. Und für das künstlerische Ootmarsum ist er ein wenig das, was er als junger Mann einmal sein wollte: Eine Art fürsorglicher Pastor.

Hinein in eine sanft gebändigte Natur

Tags darauf fahre ich in eine kleine deutsche Grenzstadt. Was ein Fehler war. Niemals habe ich mich schneller auf den Rückweg gemacht. Über das Dorf Denekamp zurück zum Landgoed Singraven. Wieder hinein in diese sanft gebändigte Natur, in der man in eine geradezu lebhafte Einsamkeit eintaucht. In eine Ruhe, die einen binnen Minuten ganz und gar aus der Zeit fallen lässt.

Sanftes Dinkelland. Ruhe, Ruhe, Ruhe! Foto: Flora Jädicke

Das Huis Singraven ruht still in einem Park, nahe der Dinkel. An der alten Watermolen gibt es ein kleines Restaurant, zwei Ferienwohnungen und einen Hofladen. Hier wird alles in Bioqualität angeboten. Der Kaffee ist großartig und das Rauschen der Dinkel am kleinen Wehr übertönt das Knattern der Motorroller, die mit Touristen beladen vorbeifahren. Nicht jede Tourismusidee ist eine gute Idee. Die Dinkel scheint das wenig zu stören. Sie schlängelt sich gemächlich durch die alte Kulturlandschaft in diesem so anderen Holland. Seine Ruhe senkt sich tief die Seele, wie die Landschaften in den Bildern von Ton Schulten.

Die Mühlräder der alten Wassermolen am Landgut Singraven. Foto: Flora Jädicke

Die Autorin reiste auf Einladung des Parkhotel de Wiemsel und mit Unerstützung von Tourismus Ootmarsum.

Infos auch unter: www.ootmarsum-dinkelland.nl

www.parkhotel-dewiemsel.nl

Anreise

Ootmarsum liegt 85 Kilometer nordwestlich von Osnabrück. Mit dem Zug fährt man über Rheine bis Bad Bentheim. Dort lässt man sich entweder abholen oder fährt weiter stündlich mit der Regionalbahn RB 61 oder der Buslinie 64. Mit dem Auto über die A30 nach Bad Bentheim und weiter über die B 403, später B213.

Übernachten

Parkhotel de Wiemsel: Einzelzimmer ab 129 Euro, Doppelzimmer ab 169 Euro. Das Hotel liegt 15 Gehminuten vom Stadtkern entfernt in einer weitläufigen Parkanlage. www.parkhotel-dewiemsel.nl

Museen

Museum Ton Schulten: tonschulten.nl
Freilichtmuseum Ootmarsum: openluchtmuseumootmarsum.nl
Drostehuis: drostehuisootmarsum.nl

Galerien

Chez-moi Ton Schulten Galerie International, Marktstraat 4-6 und Gasthuisstraat 3-6: tonschulten.nl
Galerie Marijke Kuiphuis:
galeriemarijkekuiphuis.nl
Glas-Atelier Annemiek Punt: annemiekpunt.nl
Galerie von Ruurd Yvonne Hallema: hellema.nl
Galerie Ostwal 2: oostwal2.nl

Ausflug

Huis Singraven und Watermolen Singraven:
singraven.nl

Erleben

Kunst in Ootmarsum, immer am letzten Augustwochenende: kunstinootmarsum.nl

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