Ein „Dada“- Spaziergang durch Zürich

Zürich, das ist eine Stadt wie ein gut sitzender Anzug. Elegant, teuer und nahezu perfekt geschnitten. Weitläufig umschmeichelt sie den Zürichsee wie ein feiner Stoff den Körper seines Trägers. Es ist die Stadt der großen Banken, schicken Boutiquen und der ebenso kostspieligen wie gelassenen Lebensart. Zürich, das ist auch eine Stadt wie eine Film-Diva. Manchmal etwas unnahbar, aber immer auf eine unerklärliche Art bezaubernd.

Möwen tanzen über dem Zürichsee. Segelboote wippen auf den Wellen. Und die Fischer lassen sich im Grau des Morgennebels kaum ausmachen. Hin und wieder durchbricht ein Sonnenstrahl den milchigen Schleier. Dann zeigt die Stadt ihre ganze Schönheit. Die Promenaden rechts und links der Limmat, den See mit seinen vielen „Badi“ und die Berge am Horizont des Zürichhorns.

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Am Zürichsee hat die Stadt mediterranes Flair. Zürichs Hausberg, der Ütliberg liegt kaum 30 Minuten entfernt. Foto: Flora Jädicke

In Minuten füllt sich dann der Sechseläutenplatz, nahe der Uferpromenade. Auf Zürichs größter Piazza flanieren gut gekleidete Menschen. Udo Jürgens mag ihnen dabei zugesehen haben. Seine Stadtwohnung thronte hoch über dem See im prächtigen Corso. Im Schatten des Opernhauses trinken sie Kaffee und essen Kuchen. Sie verweilen und genießen den See, die Stadt und das kulturelle Leben. Zürich wurde zu Recht viele Jahre in Folge zur beliebtesten Freizeit- und Kulturmetropole erhoben. Und man kann sie gut zu Fuß erkunden. Gehen wir einige Schritte.

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Der Sechseläutenplatz ist ein beliebter Treffpunkt. Im April wird hier der „Böögg“ angezündet und so der Winter verabschiedet. Foto: Flora Jädicke

Wenige Gehminuten von der Oper entfernt, im Cabaret Voltaire, hat Una Szeemann gemeinsam mit Cabaret-Voltaire-Chef Adrian Notz gerade 165 Tage Dada eröffnet. An mehr als 139 Orten in der Stadt hat die Dada-Bewegung ihre Spuren hinterlassen. Reden wir also über Kunst. Diese Bitte zaubert der Künstlerin und Tochter des bekannten Kurators der Berner Kunsthalle und der Documenta 5, Harald Szeemann, ein Lächeln auf die Lippen.

Dada in Zürich – Revolte im „Dörfli“

„Ja, sprechen wir über die Kulturmetropole Zürich“, sagt sie. In diesen Tagen gibt Zürich sich einer längst vergangen Obzession hin. Denn ausgerechnet in der sittsamen Zwingli-Stadt an der Limmat brach 1916 eine Revolte los. Eine Revolte mit Pinsel, Gesang, Tanz und Schauspiel. Kunsthistoriker werden die „Dada“ – Bewegung später als den „Urknall der modernen Kunst“ bezeichnen. In der Spiegelgasse 1 nahm sie ihren Anfang. Dort hatten Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp zum großen Schlag gegen die Kultur ausgeholt und die Künstlerkneipe Cabaret Voltaire gegründet.

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Künstlerin Una Szeemann nach der Eröffnung von 100 Jahre Dada vor der Wiege des Dadaistmus. Foto: Flora Jädicke

„Zürich ist in ein Korsett des Unglücks geschnürt“, klagte Tristan Tzara. Starke Worte sind das und weltbekannt. Der rumänische Künstler war Anfang des 20. Jahrhunderts wie viele seiner Künstlerkollegen vor den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs geflüchtet, ins freie Zürich. Maler, Poeten und Literaten, Bildhauer, Tänzer und Revolutionäre aus ganz Europa kamen und befreiten die etablierte Kunst mit kalkuliertem und gut inszeniertem Irrsinn aus ihrem gutbürgerlichen Gewand. Heute ist das Korsett einer eleganten Weltläufigkeit gewichen und Dada selbst ist ins Museum eingezogen. Tzaras Worte prangten weiß auf schwarz an der Wand der großen „Dada Universal“-Ausstellung im Schweizer Nationalmuseum nahe des Hauptbahnhofs.

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Eingang des Schweizer Landesmuseums. Foto: Flora Jädicke

Zürich – Stadt der Künstler und der Kultur

Auf dem Weg zum Cabaret Voltaire und zum Nationalmuseum flaniert man durch das „Dörfli“ wie die Züricher ihre Altstadt liebevoll nennen. Gut sichtbar überragen die Zwillingstürme des Großmünsters das einst blühende Handwerkerquartier. Schmale Gassen führen vom Limmatquai hinauf zum Kunsthaus Zürich. Tristan Tzara wäre überrascht. Das 1910 eröffnete Kunsthaus zeigt, was der Künstler 1920 nicht vollenden konnte: den „Dada-Globe“, eine Art Katalog der  Dada-Bewegung. Nur wenige Schritte vor ihrer Gründungsstätte entfernt, tüftelte Wladimir Iljitsch Lenin an seiner eigenen Revolution, während die Dadaisten in den Züricher Lokalen, im Café Terrasse, im glamourösen Café Odeon und in den Galerien und Kabaretts ihre Lautgedichte und  Maskentänze aufführten und feierten. Eine Gedenktafel in der Spiegelgasse 14 erinnert an den Vater der russischen Februarrevolution. Die Spiegelgasse war von je her bei Künstlern beliebt. In der Nummer 12 starb der Dramatiker Georg Büchner, und in der ehemaligen 23 verbrachte Robert Walser einige Zeit.

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Die Spiegelgasse in Zürich. Im Vordergrund das Haus in dem Lenin wohnte, mit Gedenktafel. Foto: Flora Jädicke

In der Napfgasse im Zentrum der Altstadt lässt man sich den Duft von köstlichem Kaffee um die Nase wehen. Er strömt aus der kleinen Schaurösterei des historischen Kolonialwarenladens Schwarzenbach. Schon im Jahr 1912 müssen Hugo Ball und Emmy Hennigs, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp das Inventar vorgefunden haben, das auch heute noch Besucher an jene Zeit erinnert. Auf der Straßenseite gegenüber verführen bunte Macarons im Café Schober, das heute Pèclar heißt, zu einer süßen Pause. An der Marktgasse schließlich öffnet sich der Platz. Im Hotel Zürich kann man in der öffentlich zugänglichen Dada-Bibliothek in der Dada-Vergangenheit stöbern. Durch steile Gassen schlendert man vom Niederdorf wieder zurück ans Ufer des Sees auf den Limmatquai, wo ein Standbild des Reformators Huldrych Zwingli vor der Wasserkirche Wache hält.

Zu seinen Füßen liegt der Zürichsee. Die Türme von Großmünster, rechts der Limmat und Fraumünster, am linken Limmatufer mit seinen imposanten Fenstern von Marc Chagall ragen wie Zeigefinger aus der Stadtkulisse. Über den Bahnhofsquai kommt man zum Schweizerischen Landesmuseum, das die Ausstellung „Dada-Universal“ für nur wenige Wochen beherbergt hat.

Dada ist in Zürich allgegenwärtig. Vom Nationalmuseum führt der Spaziergang zu weiteren Originalschauplätzen. Auf Europas teuerster Einkaufsmeile kann man – wenn man Glück hat – Stars wie Tina Turner beim Shoppen treffen. Vor hundert Jahren waren es dann eben Emmy Hennings und Hugo Ball und all die anderen Dadaisten. „Im Cabaret Bonbonière in der Bahnhofstraße 70“, erzählt Szeemann, „hatte die Tänzerin Emmy Hennings 1915 ihren ersten Auftritt“. In der Nummer 39 lernte der Maler Hans Arp im gleichen Jahr die Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp kennen. Und in Haus Nr. 19 fand die erste Dada-Ausstellung mit Werken von Arp, Marcel Janco, Hans Richter und Han Coray statt. Hugo Ball und Tristan Tzara machten daraus später die „Galerie Dada“.

Zürich – als Europa in Flammen stand

1916 war Zürich noch arm und die Bahnhofstraße ein Amüsierviertel und Rotlichtdistrikt. Erst zu Beginn des Jahrhunderts war Zürich zur Großstadt geworden. Mit der Industrialisierung wuchs die Stadt rasch auf 120 000 Einwohner an. Als Europa 1916 in Flammen stand kamen viele Emigranten wie Hugo Ball oder Tristan Tzara hinzu und haben das kulturelle Leben der Stadt geprägt.

Das Zunfthaus zur Waag am Münsterhof 8 ist die nächste Dada-Station. Hier kann man wunderbar essen. Im Jahr 1916 las Hugo Ball dort sein Eröffnungsmanifest in der ersten Dada-Soirée. Nur zwei Jahre später und zwei Häuser weiter, im Zunfthaus zur Meisen, „vernichtet“ Tristan Tzara „das Gedächtnis“ und „die Zukunft“ und ruft auf zur „Verschlingung aller Gegensätze und aller Widersprüche“. Am Pelikanplatz im Kaufleuten beendete die achte Soirée vorläufig den Dada-Rausch in Zürich, den die Stadt heute, 100 Jahre später, neu inszeniert. Über die Münsterbrücke führt der Weg wieder zum Cabaret Voltaire.

Am Limmatquai treibt jetzt der Nieselregen die Menschen in die Lokale, in denen die Dadaisten feierten, ins Café de la Terrasse und in das Café Odeon. Hier neztwerkten auch Karl Kraus, Thomas Mann, James Joyce oder Albert Einstein. „Das Angebot ist doch fantastisch“, schwärmt Una Szeemann zurück im Cabaret Voltaire. 50 Museen, mehr als 100 Galerien und unzählige kleine, kleinste und große Bühnen.

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Aber nicht nur Dada ist überall in der Stadt. Schon bei der Ankunft im alten Bahnhof von 1871  wacht Niki de Saint Phalles großer „Schutzengel“ über den Besuchern. Jean Tinguelys „Heureka“ am Ufer des Zürichsees wirkt zwischen den prachtvollen Baumalleen, wie dort gewachsen. Und wer hat schon eine Polizeiwache, deren Eingangshalle von Alberto Giacometti gestaltet wurde. Kultur findet man in der Metropole des Geldes also fast soviel wie Schweizer Franken. Diese Stadt ist beides: Finanzmetropole und Kulturstadt.

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Niki de Saint Phalles „Schutzengel“ in der Halle des alten Hauptbahnhofs aus dem Jahr 1871. Foto: Flora Jädicke
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Jean Tinguelys schuf seine „Heureka“ für die Landesausstellung in Lausanne (1964). Seit 1967 steht sie am Zürichhorn.

Copyright Titelbild auch: Flora Jädicke

Diese Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Zürich und von MySwitzerland.

www.zuerich.com und www.myswitzerland.com

Nützliche Tipps zu 100 Jahre Dada in Zürich:

Hinkommen: Nach Zürich kommt man gut mit dem Zug, neuerdings auch mit günstigen Fernbus-Angeboten und dem Flugzeug.

100 Jahre Dada: Dadazürich100 findet noch bis zum 25. September statt. Das Programm mit Theateraufführungen, Lesungen, Stadtrundgängen, Konzerten, Performances und Vorträgen und Partys unter: www.dada100zuerich2016.ch.

Übernachten: Smal Luxury Hotel Ambassador à L’Opera mit kleiner Dada-Ausstellung ab 187 Euro im EZ. Das DZ für zwei Personen mit Frühstück ab 451 Euro www.ambassadorhotel.ch

Hotel Zürich Dada-Package zwei Übernachtungen inkl. Frühstück von Februar bis Mai 2016, 730 CHF, www.marktgassehotel.ch

Hier gibt es Dada total: Im Cabaret Voltaire 165 „Obsession Dada“: Zeitgleich zur Ausstellung „Obsession Dada“ feiert das Cabaret Voltaire 165 Tage Dada. Jede Dada-Größe bekommt ihren eigenen „Feiertag“ mit morgendlichen „Offizien“ (6.30 Uhr) und abendlichen Soiréen (20 Uhr) mit zeitgenössischen Künstlern wie Shana Lutker, Carlos Amorales oder Garrett Nelson. 5.2. bis 18.7.2016 www.cabaretvoltaire.ch

Kunsthaus Zürich „Dadaglobe Reconstructed“: Tristan Tzara war so eine Art Ur-Facebooker. 1921 startete er das Projekt „Dadaglobe“, ein Netzwerk der Gegenkunst in Buchform. Sein Werk ist nie erschienen. Manche hielten es gar für ein Hirngespinst. In sechs Jahren Arbeit hat Adrian Sudhalter 200 Arbeiten zusammen getragen, die sich Tzara von Dadaisten aus der ganzen Welt schicken ließ. Das Kunsthaus Zürich präsentiert die Werkschau vom 5.2. bis 1.5.2016. Ab Sommer ist sie dann im New Yorker Moma zusehen. www.kunsthaus.ch

Landesmuseum Zürich „Dada Universal“: Dada ist immer und überall. Einen Einblick in die Genese der Dadaisten gibt das Landesmuseum Zürich mit einer großen multimedialen Ausstellung vom 5.2. bis 28.3.2016 www.nationalmuseum.ch

Haus Konstruktiv: „Dada anders“ würdigt die Wegbereiterinnen von Collage, Textilkunst und Performance und stellt Hannah Höch oder Sophie Taeuber Arp zeitgenössischen Künstlerinnen wie Ulla von Brandenburg und Sadie Murdoch gegenüber. 25.2. bis 8.5.2016 www.hauskonstruktiv.ch

Museum Rietberg: Dada war international und immer ein Blick über den Tellerrand. Das Museum Rietberg zeigt vom 18.3. bis 17.7.2016 „Dada Afrika“. www.rietberg.ch

Zürich Festival: Auch die Zürcher Bühnen feiern Dada. Mit dabei sind Opernhaus, Schauspielhaus, Theater Gessnerallee, Theater Neumarkt, Theater Rigiblick und Tonhalle-Orchester. 3. bis 26. 6.2016 www.zuerich.com

Francis Picabia: Zum Schluss noch einmal ein Highlight. Das Kunsthaus zeigt eine große Werkschau des französischen Malers und Dada-Dandys Picabia. 3.6. bis 25.9.2016 www.kunsthaus.ch

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