Mich hat ein übler Schnupfen erwischt. Schon bei der Anreise nach St. Vigil wollte mich das Zwicken in Hals und Nase nicht in Ruhe lassen. Jetzt hocke ich im Hotelzimmer, habe gefühlte 24 Stunden geschlafen und beobchte vom Fenster aus das Treiben am Fuße des kleinen Rodelhangs gegenüber. Zehn Teams mit je drei Personen schaben, kratzen, spachteln und sägen da an gigantischen Schneeblöcken herum.
Nichts um die Drinks in der Après Ski Bar zu kühlen. Die gibt es hier nicht. Dafür müsste man an den Kronplatz. Hoch ragt er über dem Ort auf. Das geht auch. Die Skilifte führen direkt von St. Vigil hinauf auf die 2275 Meter des Hausbergs.
Nein eiskalte Kunst meisseln die 30 internationalen Künstler unten auf dem Platz aus dem Schnee. In St. Vigil findet nämlich jedes Jahr ein ganz besonderes Festival statt. In den vergangenen 24 Jahren hat sich der 1500 Seelenort zum Hotspot für Schneekünstler aus der ganzen Welt entwickelt.
Snow Festival San Vigilio
Die Kunde darüber drang sogar bis ins entfernte China, zu Harbin Snow Festival , dem größten der Welt. „Als eines Tages eine chinesische Delegation aus Harbin an unsere Tür klopfte und bei uns, sozusagen um die Hand anhielt, waren wir so erstaunt wie erfreut. Damit haben sie uns wirklich geadelt“, sagt der St. Vigiler Tourismuschef Martin Resch. „Weil hier im Ort und beim Festival die Atmosphäre so toll ist. Das war ihre Begründung.“
Kann ich gut nachvollziehen. Ich habe mich inzwischen gegen das Krankenlager entschieden und mich unter die Künstler gemischt. Eine muntere Truppe aus neun Nationen. China, Tschechien, England, Russland, Litauen, den USA, Finnland, Deutschland und zweimal Südtirol. Alle sind locker und von Konkurrenz ist weit und breit keine Spur. Der größte Preis ist doch hier dabei zu sein“, sagt Anton Kashcheev vom russischen Team.
Flüchtige Figuren nur bis März in San Vigilio
Seit sechs Tagen werkeln sie an ihren flüchtigen Figuren. Erst in Innichen und jetzt in St. Vigil. „Wenn es gut läuft, stehen die Skulpturen bis Ende März“, sagt Resch. Im Augenblick läuft es gut. Auch wenn die Stimmung gerade ganz unten ist. Der Schneeräumer hat dem Obelix aus Wasser und hochverdichtetem Kunstschnee das Bein amputiert. Marius Golser betrachtet etwas zerknirscht den Schneehaufen. Vor wenigen Minuten war er noch ein Fuß. Aber er wäre kein Schüler der Berufsfachschule für Steinbearbeitung Laas, wenn er das nicht wieder hinkriegen würde. Na dann: rein mit den Händen in den eiskalten Schnee und ein ordentliches Bein formen.
Wer hier am Ende das Rennen macht, entscheiden Gäste und St. Vigiler. Am nächsten Tag haben Marius und seine beiden Bildhauerkollegen aus Laas den amputierten Fuß bereits vergessen. Ihr Obelix ist hier der glitzernd-weiße Sieger des 24. Snow Festivals St. Vigils.
Auch ohne Preis hat sich das Festival für die andern gelohnt. „Man kann einfach seine Ideen und Skulpturen verwirklichen“, sagt die Münchner Künstlerin Franziska Agrawal. Mal abgesehen vom gemeinsamen Skifahren am Kronplatz, von der köstlichen ladinischen Küche und dem beschaulichen Aufenthalt im kleinen Wintersportort.
Viktorija Ruskonyte aus Litauen kratz etwas frierend an ihrem drei mal drei Meter Schneeblock herum und schwärmt: „St. Vigil ist ein so gemütlicher Ort.“ Sie will wiederkommen, möglichst bald. Ihre schmusenden Pinguine wird sie dann wohl nicht mehr antreffen. Schneeskulpturen sind flüchtige Wesen. Aber zum Glück gibt es neue. Im nächsten Jahr.
Naturpark Fanes-Sennes-Prags
Bis dahin schmiegt sich der kleine Wintersportort am Rande des Naturparks Fanes-Sennes-Prags weiter idyllisch in eine Mulde des Ennebergtals. 1201 Meter über dem Meer, das der Naturpark Fanes-Sennes-Prags und die Dolomiten noch vor Urzeiten waren. Tropisches Meer sogar. Kaum fassbar. Heute führen 1200 Pistenkilometern des Dolomiti Superski durch das UNESCO Welterbe Dolomiten. Die Überreste vom einstigem Meer findet man nur noch im Haus des Naturparks Fanes-Sennes-Prags am Ortsrand.
Von St. Vigil aus kann man hoch hinaus zu Fanes und Sennes. Vor allem kann man herrliche Skitouren und Schneeschuhtouren gehen, ohne auch nur das Surren einer einzigen Seilbahn zu hören. Und unten, St. Vigil hat sich den Charme und den Luxus kleiner Strukturen erhalten.
Info: www.sanvigilio.com, www.kronplatz.com, www.hotelcorona.net